“Es war Liebe auf den ersten Blick!” Egal wo man sich umhört – Geburtsberichte enden meist alle gleich: Sobald das Baby dann da war, waren sofort alle Strapazen, alle Schmerzen und Verletzungen vergessen und alles was zählt ist dieses kleine, schreiende Etwas. Eine nie da gewesene Welle der Liebe überkommt dich und du kannst dir nicht mehr vorstellen, ohne diesen winzigen, hilflosen Wurm zu leben. Das alles innerhalb von Sekunden. Boom!
Bei mir war es bei der Geburt meines ersten Sohnes nicht so. Ich sah in das Gesicht meines Mannes – er hatte Tränen in den Augen vor Glück, beschreibt diesen Moment später als glücklichsten seines Lebens. Ich war auch glücklich – dass diese furchtbar schmerzhafte Geburt vorbei war, dass ich es überstanden hatte, dass ich mich nun ausruhen konnte. Aber die Liebe, von der alle immer berichten, blieb aus. Klar, ich wusste: Das ist mein Baby, er braucht mich. Ich bin seine Mama und jetzt für ihn verantwortlich. Aber “ich liebe ihn über alles”? In den ersten paar Minuten? Nein. Er war da, ja. Er gehörte zu mir, klar. Aber Liebe? Ich liebte meinen Mann, meine Eltern, meine Schwester. An dieses neue Familienmitglied, meinen Sohn, musste ich mich erst einmal gewöhnen.
Dieses Gefühl hielt an. Ich kümmerte mich um ihn, ich stillte ihn, hielt ihn, sang ihm vor. Wir kuschelten, bondeten. Ich hatte ihn gern. Aber es war auch sehr nervenaufreibend. Er schrie in einer Tour und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ich funktionierte. Und wartete. Und traute mich nicht, jemandem von diesem Gefühl – oder vielmehr von dem Ausbleiben dieses Gefühls – zu erzählen. Was stimmte nicht mit mir? War alles in Ordnung mit mir? Ich hatte natürlich von postpartalen Depressionen gehört, hatte aber nicht das Gefühl, dass dies auf mich zutraf. Ich war nicht traurig, lethargisch, fühlte mich nicht überfordert (zumindest nicht mehr als jede andere Erstmama). Ich kriegte alles gewuppt und war bis auf den Schlafmangel und das viele Geschrei auch relativ gut drauf. Das neue Leben kam plötzlich, aber so langsam begann ich, mich daran zu gewöhnen.
Wenn nur dieser Gedanke im Hinterkopf nicht wäre. Wenn nur diese vielen Erzählungen von anderen Mamas nicht wären. Wenn ich mich nur nicht diesen ständigen Vergleichen nicht ausgesetzt fühlen würde. Wenn die Angst nicht wäre, ich könnte mein Kind nie so lieben, wie all die anderen Eltern und wie mein eigener Mann.
Und dann, eines Tages, mein Baby war etwa vier oder fünf Wochen alt, war er da: der Moment, auf den ich so lange so verzweifelt gewartet hatte. Ich ging mit meinem Sohn spazieren, die Sonne schien. Er schaute mich aus dem Kinderwagen heraus an, ich schaute ihn an und: Boom! Ich verliebte mich! So richtig! Endlich war es da, einfach so, ungeplant und ohne besonderen Grund. Er lächelte nicht einmal, schaute mich einfach nur an. Doch irgendwas machte in diesem Moment klick und ich bin so froh und dankbar, dass es das tat!
Heute, knapp drei Jahre später, ist es für mich undenkbar, dass ich einmal irgendetwas anderes als pure Liebe für meinen Sohn empfunden habe. Es ist kitschig, aber wahr: Ich liebe ihn so sehr, dass es wehtut, bis zum Mond und zurück und mehr als Schokolade. ich würde für ihn ohne mit der Wimper zu zucken eine Klippe hinabspringen oder mir die Hand abhacken. Er ist mein Großer, mein kleiner Held, so lieb und witzig und clever und für mich die purste Definition von Glück. Unser holpriger Anfang ist so gut wie vergessen, aber er war da.
Als ich im Oktober zum zweiten Mal Mutter wurde, war ich gespannt und auch etwas ängstlich, wie ich den Moment dieses Mal erleben würde. Ich war auf alles vorbereitet. Ich wusste ja, wie es laufen konnte und muss mir eingestehen, dass ich manchmal sogar die Berichte anderer Mütter von dieser Großen Liebe in Sekunden anzweifelte.
Und dann war es wieder soweit: Die Geburt war vorbei, alles war gut verlaufen, mein zweiter Sohn war auf der Welt und er wurde mir direkt auf die Brust gelegt. Wieder lag da ein kleines, nacktes Etwas auf mir, das mein Baby war. Und diesmal? Ich hatte ihn! Den Moment, von dem ich bis dahin nicht sicher war, ob er überhaupt existiert. Ich liebte das kleine, rote, zerknautschte Baby. So sehr! Mehr als (fast) alles andere auf der Welt! Von Sekunde 1 an! Ich war glücklich und erleichtert und dankbar und bin es noch.
Ich habe beides erlebt: Liebe auf den ersten und auf den zweiten Blick. Ich weiß nicht, wieso beide Erfahrungen so unterschiedlich waren, aber ich denke so ist das Leben nun einmal. Jeder Mensch, jede Erfahrung, jeder Moment ist unterschiedlich. Vergleiche sind schwierig, wenn nicht gar unmöglich und auf alle Fälle ungerecht. Sie haben bei mir damals einen großen Druck und eine Angst ausgelöst, die vermeidbar gewesen wäre, wäre ich nicht mit dieser gewissen Vorstellung davon, wie es sein müsste, konfrontiert gewesen. Hätte ich auch andere Berichte gekannt und darauf vertrauen können, dass die Liebe kommt. Vielleicht nicht sofort, vielleicht nach ein paar Stunden oder Tagen oder Wochen. Aber dass sie kommt.
Wir sollten alle ehrlicher mit unseren Mitmenschen sein, wenn es um unsere Gefühle und Erfahrungen geht. Wir sollten uns gegenseitig unterstützen und beruhigen, auch einmal über negative Gefühle in Verbindung mit dem Muttersein sprechen und einen Blick hinter die Instagram-Fassade erlauben. Nicht alles muss perfekt sein. Das echte Leben ist doch viel spannender und vielseitiger, bunter und interessanter! Auf uns Mütter und all unsere unterschiedlichen Erfahrungen, Meinungen, Ängste und Glücksgefühle.